Nach vier Tagen "Entspannung" in Bruksvallarna geht es nun weiter nach Norwegen. Vor dem Grenzübertritt steht mit dem Flatruetväg allerdings noch ein letzter schwedischer Programmpunkt auf dem Zettel. Bei insgesamt eher herbstlichen Wetter mit stürmischen Böen bereue ich diese Entscheidung allerdings schnell. Schließlich ist auch das Wetter am ersten Tag in Norwegen eine bodenlose Frechheit und bringt mich an den Rand der Verzweiflung.
Urlaub in Bruksvallarna
Aus vorerst drei geplanten Nächten in Bruksvallarna werden nach einem grandiosen ersten Tag schnell vier. Gestärkt durch frischen Blaubeersaft, Obst, Gemüse, Yoghurt und ofenwarme Brötchen erklimme ich die umliegenden Bergketten. Am ersten Tag geht es im Laufschritt auf kleinen Trails vorbei an Schneeresten, über Bergflüsse und durch mickrige Birkenwälder zur Waffelhütte Kariknallen überhalb des Ortes. Nach 310 Höhenmeter auf knappen drei Kilometern reiner Wegstrecke erreiche ich diese etwas außer Atem nach etwas mehr als einer halben Stunde. Von dort aus geht es in einem großen Bogen auf ausgeschilderten Wanderwegen über Bohlenwege im Hochmoor zurück ins Tal.
Neben etwas gemäßigterer Betätigung sehen die folgenden Tage relativ ähnlich aus, wobei nur der Kaffee am Nachmittag immer in einem anderen Café getrunken wird. Vervollständigt wird die Stimmung nur noch durch die freilaufenden Rentiere, die in regelmäßigen Abständen den Ort durchqueren. Angepasst an die menschengemachten Veränderungen im Fjell benutzen diese nunmehr die Brücken über die Gebirgsbäche und erfreuen sich der ein oder anderen Neuigkeit in den kleinen Vorgärten.
Tourenplanung und die Schwierigkeiten
Wieder einmal beansprucht die Tourenplanung und die Recherche der Einreisebestimmungen viel mehr Zeit als gedacht. Das Hauptproblem ist in dem Fall verhältnismäßige Tagesetappen abzustecken, die in der kargen Umgebung auch bei Wind und Wetter eine Absicherung besitzen. Auch wenn Supermärkte auf norwegischer Seite nicht mehr das Problem sind, so ist es trotzdem noch ein weiter und beschwerlicher Weg bis dorthin. Als eine Folge der Corona-Pandemie ist Norwegen zudem derart ausgebucht, dass man entweder gar nicht mehr oder nur noch zu absurden Preisen Herbergen, Pensionen, o.ä. findet. Hauptgrund dafür ist, dass eine normale Urlaubssaison lange Zeit unsicher war und die Hotels, als es zu spät war, keine Saisonkräfte mehr einstellen konnten. Da zudem ein Großteil der Norweger ein weiteres Jahr im eigenen Land sommerresidieren, bezahlt man in allen größeren Städten zur Zeit mehr für eine Übernachtung als in New York.
Am Ende steht die Tour in grober Form mit dem Ziel Atlantikküste zwischen Kristiansund und Molde. Je nach dem wie das Wetter mitspielt, werde ich die restliche Strecke nach Bergen mit der Hurtigrute absolvieren. Von dort aus geht es schnellstmöglich weiter in Richtung Stavanger, um dort alte Freunde und Bekannte endlich wiederzusehen.
Dumme Ideen mit Folgen
Vorerst muss ich allerdings erst einmal einreisen, was dank meines Wohnsitzes in Schweden nur eine Registrierung und einen Test an der Grenze erfordert. Da diese Teststation allerdings nur bis 15.00 Uhr geöffnet hat, übernachte ich noch ein letztes Mal in einem Windschutz kurz vor der Grenze. Für die dementsprechend kurze Tagesetappe plane ich kurzentschlossen (dem) Flatruet einen Besuch abzustatten. Auf rund 975 Höhenmetern gelegen ist dies der höchste Punkt des schwedischen Straßennetzes mitten im Nichts zwischen Funäsdalen und Ljungdalen gelegen. Auch der bereits frische Wind in Bruksvallarna bei herbstlichen 11° Celsius sowie die angeschlagenen 25 Kilometer (je Richtung) halten mich nicht davon ab. Kurzum: eine Etappe des Grauens. Wer es jedoch mag in regelmäßigen Abständen von rücksichtslosen Wohnwagen- und LKW-Fahrern so dicht wie möglich auf einer engen Schotterstraße überholt zu werden oder in einer Wolke von Staub und Steinen des entgegenkommenden Verkehrs zu versinken - ja; dann kann ich diesen Abstecher empfehlen. Mit jedem Höhenmeter sinkt zudem die Temperatur und auf der komplett kargen Ebene könnte ich bei 7° Celsius schließlich Handschuhe gebrauchen.
Auch ein Tee im abendlichen Windschutz nahe eines brausenden Wasserfalls hilft nicht, die innere Wärme vollkommen wieder herzustellen.
Die Hölle 2.0
Es sind diese Tage an denen man eigentlich genug hat, aber weiß, dass man weiter muss und es keine Alternative gibt. Erst dann geht es aber erst so richtig los. Voller Vorfreude radle ich am nächsten Morgen die letzten zehn Kilometer in Richtung Grenze und erreiche einsam und alleine die Militärabsperrung in Vauldalen. Nach einem kurzen Gespräch im Windschatten des Vans und der Anerkennung der norwegischen Soldaten über meine bisherige Tour, folge ich den Pfeilen am Boden zum Drive In-Testzentrum. Nach 20 Minuten Wartezeit und einem erlösenden, negativen Ergebnis setze ich meine Tour schließlich fort.
Es geht vorerst ziellos in nordwestlicher Richtung vorbei an Røros in Richtung Trondheim. Es regnet gelegentlich und der Wind peitscht über die Hochebene in voller Stärke aus Nordwest. Bereits nach 20 Kilometern hätte ich das Fahrrad am liebsten in den angrenzenden Aursunden geschmissen, der mit seinen Schaumkronen die stürmische Atmosphäre nur noch einmal verdeutlicht. "Trotz" gerader Strecke und leichtem Gefälle ins Tal schaffe ich es kaum im zweistelligen Bereich zu bleiben und krieche in Zeitlupe durch die einsame Ebene. Innerlich koche ich, während meine Hände im Schutze der Fleecejacke am Lenker gerade noch so warm bleiben.
Aufgrund mangelnder Alternativen buche ich mich für die heutige Nacht im Fjellhotel Nordpå ein, da das eigentliche Ziel Støren unter diesen Umständen völlig illusorisch ist. Im engen Tal der Gaula radle ich zum ersten Mal auf einer vielbefahrene Landstraße durch einen längeren Tunnel. Es ist ohrenbetäubend laut und oft nur durch das nötige Bremsen bemerkbar, dass es markant bergab geht, ohne das man das Ende des Tunnels sieht. Zu guter Letzt folgt der Anstieg zum Hotel, welches nicht im Tal liegt, sondern wieder auf ca. 600 Metern. Von 330 Höhenmeter im Tal geht es vorerst auf 550 Meter hoch, direkt wieder ins nächste Tal runter und schlussendlich zum Hotel. Vom Geduldsfaden ist nur noch Asche übrig. Immerhin stimmt die Atmosphäre und das Abendessen im Hotel bewegt mich dazu, gleich noch eine Nacht dran zu hängen, um die nähere Umgebung zu erkunden und die Ruhe zu genießen.
Bis dahin,
Kai