Rentiere Schweden Jämtland

Vom Fulufjället in die Hochebene

Auf dem zweiten Teil dieser Etappe geht es vom Pensionat in Sörsjön, welches tatsächlich Norrsjön heißt, mit einem Abstecher zum Fulufjället und über die "Ländesgrenze" ins Jämtland. Der bekannte Nationalpark beheimatet dabei nicht nur Schweden's höchsten Wasserfall, sondern auch die älteste Fichte der Welt. Im weiteren Verlauf werde ich von einer schwedischen Familie zum Grillen eingeladen, erreiche über die Hochebene noch vor dem Gewitter mit Starkregen Funäsdalen und übernachte auf einer viel zu schmalen Bank im Stadtpark von Funäsdalen.

Maximale Steigung und eiserner Wille

Entsprechend meiner über die Nacht gereiften Planung der kommenden drei Tage, geht es am ersten Tag nur hinauf ins Fulufjället, wo ich die Nacht in einem Windschutz verbringe. Die daraus resultierende kurze, erste Etappe dorthin veranlasst mich also in Ruhe abzureisen und die längere, aber asphaltierte Route über Särna zu wählen. Lieber 20 Kilometer Umweg, als 10 Kilometer Schotterpiste mit Steigung. Unvermeidbar ist allerdings der "Aufstieg" zum Ausgangspunkt der Wanderung im Fulufjället. Von Särna auf 430 Metern geht vorerst zwei Mal auf 650 Meter und wieder runter auf 530 Meter bevor der finale Anstieg mit mehr als neun Prozent Steigung auf 730 Meter über dem Meeresspiegel endet.

Die zusätzlichen wohl knapp 25 Kilo Gepäck und mein eifriger Wille beeindrucken die Autofahrer, die sich in einer Schlange vor dem Nationalpark stauen und aus dem Fenster winken und zum Teil Hupen. Tatsächlich sprechen mich noch zwei Tage später zwei Schweden an, ob ich nicht der Radler bin, der vor ein paar Tagen ins Fulufjället gefahren ist. Ja - schieben ist nicht.

Erwartung und Realität

Nach einem erfrischenden Wässerchen mache ich mich schließlich auf die Rundtour durch den Nationalpark. Schnurstracks geht es auf Bohlenwegen, über Brücken und Treppen direkt zum Wasserfall, der im Gegenlicht der grellen Sonne allerdings mehr zu hören als zu sehen ist. Im Folgenden ist die Etappe zur ältesten Fichte der Welt allerdings mit nochmal knapp 300 Höhenmeter ein wenig anspruchsvoller und unwegsamer. An dieser Stelle würde, wie so oft passen: "Aber es lohnt sich!", was in diesem Fall sicherlich nicht alle Besucher unterschreiben würden. Wenn man allerdings die knapp 10.000 Jahre alte Fichte (auf etwa 1000 Metern Höhe) besuchen möchte, sollte man seine Erwartungen an die Gegebenheiten anpassen, um nicht enttäuscht zu werden.

Trotzdem ist es den Aufstieg natürlich wert und wenn es nur für den desisollunierten Blick der Neuankömmlinge ist, die vor der Knöchelhohen Absperrung mit einem Tampen auf das mickrige Buschwerk zu ihren Füßen blicken. Praktisch ist es auch tatsächlich das Wurzelwerk bzw. Teile davon, die so alt sind und nicht die Sprösslinge, die überhalb der Erde nur für ein paar hundert Jahre übeleben.

Grillen mit einer schwedischen Familie

Zurück am Parkplatz des Parks kündigt meine Wetteramt für den morgigen Tag aufziehende Starkregenfälle aus Südwest mit mehr als 80 mm über den Tag an. Hier zu bleiben würde also zwangsweise zu einer Doppelnacht im Nationalpark führen, weswegen ich mich kurzer Hand entscheide im Abendlicht noch so weit es geht in Richtung Funäsdalen zu kommen. In der Hoffnung, dass der einsetzenden Regen sich etwas verspätet könnte ich so am Folgetag mit einer frühmorgendlichen Etappe die Hochebene im besten Fall trocken überqueren. An diesem goldenen Abend schaffe ich spontan nochmal 60 Kilometer und finde schließlich an einem Gebirgsfluss mit einigen Campern einen Windschutz für die Nacht.

Nach einem erfrischenden Bad im kühlen Fluss werde ich spontan von einer schwedischen Familie zum Grillen eingeladen. Bei einem frischen Burger und Würstchen vom Grill erzähle ich von meiner Reise, was die Familie schwer beeindruckt. Speziell die beiden Jungs, etwa halb so alt und groß wie ich, würden am liebsten gleich mitkommen. Bei der Frage des Trainings zögere ich, weil es eigentlich keine explizite Vorbereitung gegeben hat, ich aber seit meiner frühen Kindheit immer schon auf Fahrradtour gewesen bin. Also ja: ca. 20 Jahre Training.

Wett(er)rennen nach Funäsdalen

Erst die Mücken beenden abrupt den gemütlichen Abend und so schlafe ich ein paar Stunden, bevor ich um 5.30 Uhr wieder aufbreche. Die Sonne scheint bereits am noch wolkenfreien Morgenhimmel als ich ich auf die Straße über das Hochplateau abbiege. Dieser folge ich nahezu den ganzen Tag (knapp 90 Kilometer) bis ich in Tännäs wieder in der Zivilisation ankomme. Landschaftlich im Grunde sehr schön, wenig-befahren und durch querende Rentierherden aufgelockert hat diese Strecke jedoch so ihre Tücken. Einerseits gibt es weder Trinkwasserquellen oder dergleichen unterwegs und zugleich ist das Gelände äußerst fordernd. Neben einer Minmax-Höhendifferenz von ca. 400 Metern geht es andauernd rauf und wieder runter, was jeden noch so geduldigen Radfahrer Mürbe macht.

Insgesamt geht mein Plan jedoch auf und ich erreiche etwa eine Stunde vor dem Gewitter Funäsdalen. Gestärkt durch eine Pizza und Waffel radle ich schließlich zu meinem Windschutz, der in einer Art Stadtpark am Seeufer liegt. Im Grunde idyllisch mit Blick auf die Bergwand und Stadt sowie Toilettenhaus mit Frischwasser und Waschmöglichkeiten gibt es jedoch ein "kleines" Problem: der Windschutz hat nur Sitzbänke. Die folgende Nacht auf einer ca. 40 cm breiten Bank mit Luftmatratze und Schlafsack unter dem Mückennetz ist also weniger erholsam. Die Aussicht auf ein fluffiges Kopfkissen im Hotel in Bruksvallarna am Folgetag sorgt jedoch dafür, dass ich wenigstens etwas Schlaf bekomme und die 25 Kilometer am nächsten Vormittag energiegeladen abradle.

Bis dahin,

Kai

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