Am ersten Tag der Fahrradtour durch das südwestschwedische Inland geht es von Göteborg landeinwärts, um am Abend an einem der vielen tausend Seen das Zelt aufzuschlagen. Soweit die Planung, alles andere überlasse ich lieber oder auch notgedrungen dem Zufall.
Auf ins Neuland
Neben der langjährigen Tradition über Himmelfahrt auf Fahrradtour zu sein, erfüllt diese Tour mitunter auch den Zweck das Equipment für den Sommer auf Herz und Nieren zu prüfen. Dabei betrete ich nicht nur rein landestechnisch Neuland (erste wirkliche Tour in Schweden) sondern zelte auch das erste Mal unterwegs, anstatt in einer Jugendherberge zu übernachten. An diese vermeintliche Freiheit muss ich mich erst einmal gewöhnen und so trete ich ohne konkretes Tagesziel um kurz vor 9.00 Uhr in die Pedalen. Es ist noch leicht frisch, aber für den Tag sind weiter im Landesinneren Temperaturen um die 20 Grad gemeldet, was hier draußen noch Utopie verbleibt. Mit mehr Glück als Verstand passe ich geradeso die Fähre ab, die aufgrund des Feiertagsrhythmus nur sehr ausgedünnt in den letzten Morgenstunden fährt.
Auch wenn ich kein explizites Ziel für heute Abend habe, so zieht es mich grundsätzlich ostwärts an die Seenplatte südlich der großen Seen Vänern und Vättern, um dort die Nacht zu verbringen. Bis dahin ist es aber nicht nur ein weiter Weg (ca. 120 km), sondern auch die nördlichen Ausläufer von Göteborg geschickt zu passieren. Dies gelingt mir, mit ein paar herausgeschriebenen Zwischenzielen lågom gut und so bin ich froh nach einem andauernden links-recht-links-links-rechts Wohngebiets- und Hauptstraßenmarathon endlich die Stadtgrenzen erreicht zu haben. Von Angered dem nordöstlichen Ende der Stadt geht es fortan auf einer alten Bahntrasse geradlinig gen Osten. Auch wenn das Radeln in dem Fall sehr angenehm bzw. hauptsächlich eben ist, so sind die kilometerlangen Geraden etwas träge.
Von Steinwällen und Staus
Aber auch der längste Bahntrassenradweg hat sein Ende - in diesem Fall an einem gehässig aufgeschütteten Steinwall. Um nicht einen großen Bogen zurück zur Hauptstraße zu schlagen hieve ich mein Fahrrad mit Mühe und Not über die letzten Zeugen der Eiszeit und es geht den Trampelpfad weiter zur erwähnten Hauptstraße. Fortan radle ich eine längere Etappe an einer gering befahrene Fernstraße, was sich in Schweden zum Teil nicht immer vermeiden lässt. Gebremst werde ich nach knapp 25 km von einem Stauende, ohne das mich auf den vorherigen Kilometern ein einziges Auto überholt hat. Wie sich später herausstellt gab es einen Auffahrunfall einige 100 Meter hangabwärts, welchen wir nach 10 Minuten Stop&Go passieren. Etwas unangenehm ist im Folgenden die Fahrzeugkolonne hinter mir, die nach und nach überholen, bis wir die Ortsgrenze von Alingsås erreichen.
Mittlerweile scheint die Sonne sehr tüchtig und am Ortsausgang passiere ich glücklicherweise ein kleines Hofcafé, welches zur Pause und weitern Planung des Nachmittags einlädt. Bei der Stärkung durch eine Limonade und zwei fluffige Süßteile, entscheide ich mich weiter in Richtung Vårgårda zu fahren und unterhalb am Ornungasjö nach einem Zeltplatz Ausschau zu halten.
Land, Sand, Felder, Bäume
Nach der wohltuenden Pause geht es weiter auf einsamen Landstraßen und den in Schweden (noch) weit verbreiteten Sandstraßen. Es könnte tatsächlich so schön sein wäre da nicht die Gewitterfront, die von Süden her aufzieht und sich durch leichtes Grollen bemerkbar macht. Bereits einige Kilometer vor Vårgårda biege ich zu meinem heutigen Etappenziel ab, um eben jenes noch rechtzeitig vor dem Gewitter zu erreichen. Auf den letzten zehn Kilometern geht es dabei durch verschlafene Tannenwälder und mit mehr Glück als Verstand entpuppt sich das wahllos gesetzte Tagesziel als Picknickplatz am See. Neben einem kleinen Grillplatz, gibt es einen Steg und eine alte Fischerhütte im nahen Dickicht des Waldes. Da das Gewitter im näher kommt und sicherlich nicht mehr vorbeizieht, suche ich mir die erstbesten drei Bäume, als Ecken eines gleichseitigen Dreiecks, mit einem Durchmesser von mindestens 30 cm und nicht zu weit entfernt, um an diesen mein Baumzelt zu befestigen.
Was in der Theorie einfach sein sollte, entpuppt sich als etwas anspruchsvoller als gedacht. Mit Mühe und Not schaffe ich es kurz vor dem einsetzenden Gewitter den Regenschutz drüber zu werfen und such Schutz unter meinem Zelt.
Die Geschichte eines Abends*
Beim Blick auf die Wetterapp verbreiten die vorhergesagten 25 mm Niederschlag binnen der nächsten Stunde keine große Hoffnung aug baldige Besserung. Bei einsetzenden Hagel beziehe ich schließlich Stellung auf einem Gartenstuhl mit Polster in der Fischerhütte. Ein Idyll ertrinkt im Regen. Vielleicht auch wegen der Intensität klingt das Gewitter nach nicht ganz einer Stunde ab, während ich in der Fischerhütte bereits das Abendessen vorbereite. Es gibt Nudeln mit Pesto, Kirschtomaten und Pinienkerne - einfach aber stilvoll. Zum Glück klart der Himmel wieder auf, so dass ich pünktlich zum Essen den Blick auf den See unter freiem Himmel genießen kann. Eigentlich traumhaft, wäre nicht alles nass.
Bis dahin,
Kai
* Frei übernommener Titel eines fantastischen Beitrags des NDRs moderiert von Olli Schulz. Absolute Empfehlung.