Es ist soweit - die Festtage stehen vor der Tür und pünktlich zum Vorweihachtsabend (Lille Julaften) ist der Dauernieselregen einem klaren Winterhimmel gewichen. Neben letzen Weihnachtseinkäufen bin ich am Abend zum Uppesittekväll eingeladen, bevor morgen die eigentliche Weihnachtsfeier beginnt.
Über Traditionen und ihre Unterschiede
Währenden in Norwegen am Abend des 23. Dezembers unter anderem die Mandel im Milchreis gesucht wird, geht es in Schweden zum Teil weniger ruhig und gemütlich zu. Aber dazu später mehr. Bis vor ein paar Tagen dachte ich noch ich sei zum Ute- und nicht Uppesittekväll eingeladen, was mir mit Hinblick auf die norwegische Tradition gar nicht abwegig vorkam. Frei übersetzt würde der Utesittekväll einem gemeinsamen Draußensitzen gleichkommen. In Wirklichkeit trifft man sich an diesem Abend allerdings (im Haus), um gemeinsam zu Essen und der vierstündigen Weihnachtsbingosendung so gut es geht zu folgen. Was in erster Linie gemütlich klingt, ist im Nu purer Stress. Ohne jede Vorwarnung beginnt plötzlich die erste von fünf Bingokugelziehungen. I21, B06, N43, ...
Unsere Unterhaltungen werden abrupt unterbrochen, alle schlagen die erste Seite ihres Bingoloses auf und beginnen die genannten Zahlen anzukreuzen. Bereits in Norwegen wurde ich von der mitreißenden Stimmung beim Bingo etwas überrascht und ähnlich ist es heute. Prinzipiell werden so lange Zahlen aufgerufen, bis einer der C-Promis in der Livesendung ein Bingo hat. Bei 75 Zahlen und fünf notwendigen Zahlen für ein Bingo kommt man den Geld- oder Sachgewinnen oft zum Greifen nah, bevor man plötzlich aus seiner Gedankenwelt gerissen wird. Bingo. Ich verzichte an dieser Stelle freiwillig auf eine mathematische Diskussion möglicher Hauptgewinne. Schlussendlich muss ich sagen, dass diese Tradition vielleicht etwas ungewöhnlich ist, aber auf alle Fälle für einen lockeren und geselligen Abend sorgt. Da man durch den Kauf des Loses nicht nur die großen Gewinne finanziert, sondern auch soziale Projekte unterstützt, kann ich auch gut mit dieser Form des Glücksspiels leben.
Der Fruchtaperitif
Nach einer kurzen Nacht genieße ich den heiligen Morgen bei einem langen Frühstück und schaue nebenbei die letzte Folge der norwegischen Weihnachtsendung. Neben frischer Orange gibt es Kekse, Stollen Lebkuchen, Pfefferkuchen und schwedisches Weihnachtsbrot, während draußen meine steif-gefrorenen Wäsche langsam sublimiert (direkter Übergang vom festen in den gasförmigen Zustand einer Flüssigkeit). Dieses Phänomen ist mitunter spannend zu beobachten, wenn es nicht so lange dauern würde und ich das Hemd eigentlich heute Abend anziehen wollte. Da ich aber noch eine Alternative im Schrank hängen habe, ist dies weniger tragisch und ich beginne nach dem Frühstück mit dem Backen des norwegischen Suksesskakes. Letzterer besteht aus einem einfachen Mandelboden, bedeckt mit einer Vanillebuttercreme und Mandelsplittern oder Schokolade als Topping. Stets und wortwörtlich ein Erfolg!
Nach einem kurzen Spaziergang im letzten Sonnenlicht entlang der Küste, bin ich um 15.00 Uhr bei meiner Gastfamilie eingeladen. In der folgenden Stunde kommt nach und nach auch der Rest der Familie, während wir im Wohnzimmer gemeinsam Glögg mit Mandeln und Rosinen trinken. Der Geschmack erinnert mich sehr an den vermeintlichen Fruchtaperitif aus der Weihnachstüte, den ich bisher immer kalt getrunken habe...
Västkystens Julbord
Ganz klassisch und lokal dominiert Fisch das westschwedische Weihnachtsbuffet. Neben diversen Sorten von eingelegtem Hering, gibt es Lachs geräuchert und gebacken, Janssons Frestelse und diversen anderen Beilagen. Obendrein gibt es zwei Varianten Weihnachtsschinken - eingelegt in Rotwein und dann in Stücken gebacken sowie gekocht und mit Kruste überbacken. Ich habe Schwierigkeiten alles zu probieren bzw. zu Erinnern, was ich bereits probiert habe. Am meisten überrascht mich allerdings der eingelegte Hering und der herrlich geräucherte Lachs auf einer Weißbrotscheibe Hönökåka. Vor ein paar Jahren hätte ich diesem maritimen Weihnachtsbuffett wohl mit Skepsis gegenüber gestanden. Nun genieße ich es jedoch in vollen Zügen bei einem herrlichen Glas Weißwein aus der schönen Pfalz.
Während des Essens habe ich mühe meinen Platz nahe des Weihnachtsbaumes zu erreichen, da die Geschenkeflut bereits meine Stuhlbeine erreicht hat. Nach dem Essen wird es also bald Zeit für die Bescherung, die sich im Grunde kaum von einer deutschen Bescherung (mit Kindern) unterscheidet. Hier kommt der Weihnachtsmann allerdings mit einer Axt und einem Tau anstatt einer einfachen Rute und Sack. Sukzessive werden alle Geschenk zugestellt bevor das "gemütliche" Geschenke auspacken beginnt. 3,2,1, go!
Ende eines langen Abends
Neben zahlreichen liebevollen Paketen aus der Heimat gibt es für mich einen hölzernen Pizzaspaten und ein Buch über die Philosophie des Eisbadens von Wim Hof. Das letztwöchige Pizzabacken hat Eindruck gemacht und der Rest der Familie wurde für das kommende Pizzabacken nun gleich mit eingeladen. Gut dass nun die Ausrüstung so stilvoll aufgewertet wurde.
Während die Großeltern das Chaos im Wohnzimmer ordnen, beginnen wir mit der Vorbereitung der Kaffeetafel. Neben meinem norwegischen Beitrag, gibt es eine weitere Spezialität der Westküste: Äggost (ww. Eierkäse). Kunstvoll in Form eines Sterns gepresst, ähnelt dieser geschmacklich einem Milchpudding. Dabei wird unter zusetzen von Eiern Milch so lange gerührt wird, bis diese gerinnt und sich der Käse absetzt. In Norwegen existiert mit Gomme eine ähnliche Speise, die aber um einiges intensiver schmeckt und insgesamt mehr "Mut" erfordert. Die schwedische Spezialität ist einem Pudding sehr ähnlich und in Kombination mit Marmelade und einem Glas Portwein ohnehin eher der neutrale Part.
So geht also schließlich mein erstes schwedisches Weihnachtsfest zu Ende und wer weiß ob es nur das Erste war...
Bis bald,
Kai