Europa verbindet!
Endlich ist es wieder so weit - der Eurovision Songcontest steht vor der Tür. Als treuer Fan des alljährlich größten Musikwettbewerbs der Welt, ist für mich natürlich nicht nur das Finale von Interesse. Die beiden Halbfinale am vergangenen Dienstag und gestrigen Donnerstag haben gezeigt das Kiev, die Zuschauer und alle Delegationen, weitestgehend unbeeindruckt vom Ukraine-Konflikt, die Atmosphäre genießen. Natürlich sind die Möglichkeiten zur generellen Inszenierung etwas beschränkt, aber wer braucht schon eine 20 Meter hohe LED-Wand, die auf Knopfdruck auffährt und den Blick auf den Greenwood freigibt, so wie 2011 in Deutschland.
Speziell bei der Eröffnungszeremonie im zweiten Halbfinale hat die Ukraine gezeigt, dass die Europäische Integration beim ESC so weit fortgeschritten ist, wie man es sich in Brüssel nur wünschen würde. In Anlehnung an das letztjährige "Bestof-Musical" schaffen es die beiden Moderatoren Oleksandr Skichko sowie Volodymyr Ostapchuk, ein ukrainischer Folk-Chor sowie ein kiever Tanz-Ensemble auf beeindruckende, ukrainische Weise ESC-Hits der letzten Jahre zu interpretieren. So entsteht aus der Dance-Eurohymne Euphoria mit Hilfe von Sipolka, Akkordeon und ukrainischen Volksgesang eine grandiose osteuropäische Version des Titels. Als man schließlich den ESC-Dauerbrenner Fairytale von Alexander Rybak anstimmt, bebt die Halle und keiner der Anwesenden denkt mehr an die politischen Unruhen, Probleme und Krisen, die uns in den letzten Jahren beschäftigt haben.
Die Highlights des Eurovision Songcontest 2017
Von Jodel-Rap bis zu traditionellem Gesang ist in diesem Jahr alles dabei. Heri ein kurzer Ausblick auf, die hörenswertesten Beiträge.
Norwegen - Besser als die Wrecking Crew
Nach einem Jahr ohne Finalteilnahme ist auch Norwegen dieses Jahr, neben Schweden und Dänemark als letztes Land aus Skandinavien, in das Finale eingezogen. Frontman und Sänger Aleksander Walmann mit Hut, Feder und Hemd steht dabei im krassen Kontrast zum DJ und Namensgeber des Duos Joakim With Steen. Der Song ist grundsätzlich normales Eurovision-Mittelmaß, wobei sich Gesang und Electronic gut ergänzen. Zudem ist der Refrain energiegeladen, einprägsam und weniger einfallslos, als das Pendant von Schweden. Ein weiterer Vorteil ist, dass der Song nicht vor sich hin plätschert oder gar langweilig wird, sondern durch gekonnte Inszenierung den Zuhörer bei Laune hält.
Persönlich kann ich vom norwegischen Vorentscheidung berichten, dass JOWST auf jeden Fall besser ist als die Wrecking Crew. Dabei war nicht nur der Name Programm, das musikalische Ergebnis war ebenso ein Fall für die Abrisstruppe. Ansonsten stand traditionelle samische Musik, eine Country-Gruppe, die üblichen Europop-Hymnen und eine langsame Ballade zur Auswahl. In diesem Sinne ist es schade um die samische Musik. Mit dem Electro-Pop-Duo wird Norwegen aber auf alle Fälle nicht letzter, wobei der erste Platz ebenso unwahrscheinlich ist.
Belgien - Not alone in the danger zone
Auch in diesem Jahr wird Belgien durch einen beeindruckenden Titel vertreten. Auf eine große Inszenierung hat man dabei verzichtet, um so die Spannung des Songs zu bewahren. Ruhig und langsam beginnt City Lights bis es beim eingängigen Refrain einen absoluten Mitsing-Charakter entwickelt. Spätestens beim abschließenden Refrain und der futuristischen Licht- und Bild-Show erreicht der Song absolute Massentauglichkeit. Somit braucht die Künstlerin Blanche nicht zu befürchten ganz alleine in der Gefahren- und somit Null-Punkte-Zone zu landen. Top 10 sollte in jedem Fall drin sein, vielleicht Top 5, aber für den Sieg ist es leider etwas zu wenig.
Italien - Der Affe in uns
Nicht nur auf YouTube steht Italien im Vergleich ganz oben mit mehr als acht Millionenaufrufen. Auch bei den einschlägigen Wettbüros werden italien große Chance auf den Sieg ausgerechnet. Mit einer fröhlichen Pop-Hymne auf italienisch überrascht Francesco Gabbani dabei das europäische Publikum, wo man aus Italien stets kraftvolle Balladen oder traditionelle Opern gewöhnt war. Trotz der ausstrahlenden Fröhlichkeit des Songs wird mitsingen, aufgrund des schnellen Italienisch, wohl eher schwierig, wobei die Melodie trotzdem sehr einprägsam ist. Es wird wohl auf alle Fälle ein Platz in den Top 5.
Ungarn - Jálomá lommá, jálomá lommá
In den letzten Jahren verstand es Ungarn stets gute Songs ins Rennen zu schicken, die im Finale stets eine gute Platzierung eingebracht habe. Bereits beim Riesenerfolg Running von András Kállay-Saunders 2014 in Kopenhagen und mit Wars For Nothing im darauf folgenden Jahr in Stockholm, wurde stets ein spezielles Thema in den Songs angesprochen. In Kiev (ver)tritt zum ersten Mal ein Sänger der Sinti und Roma Ungarn beim ESC. Das diesjährige Thema ist das Verhältnis von Sinti und Roma zu Ungarn, welches von Joci Pápai auf ungarisch präsentiert wird. Mit einer Mischung aus traditionellen Gesang, einem Refrain mit Hymnen-Potential und einer kurzen Rapeinlage bietet Ungarn's Beitrag alles, was es für einen erfolgreichen Song benötigt. Eine Platzierung am oberen Ende der Punktetabelle ist wahrscheinlich, ob es allerdings für den Sprung an die Spitze reicht, ist unsicher.
Australien - Kultur verbindet
Auch Australien ist diese Jahr wieder dabei und schickt pre Individualität ins Rennen. Der 17-jährige Isaiah vertritt dabei als Aborigines eine der ältesten Volksgruppen der Welt. Auch wenn er beim Halbfinale kurzzeitig durch einen Black Out geplagt wurde, zeigte er trotzdem was in ihm und seinem Song steckt. Mit Don't Come Easy werden ihm großen Chance auf eine Top-Platzierung ausgerechnet. Nach dem hervorragenden zweiten Platz im letzten Jahr, scheint in Australien die Motivation zum Sieg nicht erloschen zu sein. Bei einem Sieg wird der Songcontest allerdings nicht in Australien ausgetragen, sondern von Australien selbst ein alternatives Land frei ausgewählt wird. Letztlich muss man abwarten, wie Europa entscheidet.
Schweden - Windmaschinen waren gestern
Schweden wird in diesem Jahr und wie in vielen Jahren durch ein intensive Pop-Hymne vertreten. Nach stets erfolgreichen Ergebnisse mit Frans, Måns Zelmerlöw, Robin Stjernberg und Eric Saade setzt man auf diese Jahr wieder auf einen jungen Schweden. Der Song lässt aufgrund seiner Eintönigkeit allerdings einige Wünsche offen, überzeugt aber durch absoluten Mitsingcharakter. Zudem hat man in diesem Jahr auf Laufbänder gesetzt, um Robin Bengtsson mit seinen vier Tänzern in Szene zu setzen fahren. Gekonnt laufen sie zu "I can't go on" im Gleichschritt auf den Bändern und werden von Zeit zu Zeit wie von Geisterhand bewegt. Es wird wohl wie jedes Jahr ein erfolgreicher Songcontest für Schweden, nachdem man sich im Halbfinale ohne Probleme qualifizieren konnte.
Portugal - einfach, anders, portugiesisch
Gesangstechnik und musikalisch auf einem astronomisch hohen Niveau zeigt sich Portugal dieses Jahr, nachdem man letztes Jahr auf ein Teile verzichtet hat. Ob es die Auszeit war oder Glück beim nationalen Vorentscheid - Salvador Sobral hat nach dem erfolgreichen Halbfinale absolutes Siegerpotential. Auch wenn es nicht vollends mein Geschmack ist, hat Amar Pelos Dois mit seiner langsamen Art und der portugiesischen Sprache das Publikum vollends überzeugt. So gilt es nur noch abzuwarten, wie sich der sehr ruhige Titel gegen die diesmal sehr individuelle Konkurrenz durchsetzen kann.
Rumänien - Jodel it!
Auch Rumänien zeigt diese Jahr, dass mehr in ihnen steckt als eintönige Euro-Hymnen und runde Klaviere. Die Sängerin Ilinca und der Sänger und Rapper Alex Florea vereinen traditionellen Jodel-Gesang mit passenden Englisch-Rap. Wer hätte gedacht, dass diese Kombination massentauglich ist. Aber bei Publikum in der Halle ist das Lied gut angekommen und erfolgreich ins Finale am Samstag eingezogen. Trotzdem man den Jodel-Refrain nicht mitsingen kann, bleibt die Melodie der beiden Rumänen im Kopf. Etwas zu viel Individualität kann bei ESC aber auch einen gegenteiligen Effekt haben, was nicht zuletzt das schlechte Abschneiden von Jamie-Lee Kravitz zeigte. Somit hoffe ich für Rumänien trotzdem auf eine Platzierung in der Top 10.
Bis dahin wünsche ich allen ein entspanntes Wochenende und ein schönen ESC-Abend
Kai
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